Märchen & Fabeln





Hallo liebe Leseratten,

lest Ihr auch gerne Märchen, Sagen oder auch Fabeln ???  Wisst Ihr dann auch das Märchen eigentlich nur für Erwachsene gedacht waren ???

http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4rchen

Ich habe mir mehr durch Zufall schon fast " eine kleine Sammlung"  in meiner Bücher -sammlung angelegt.

Diese werde ich Euch der Reihe nach vorstellen.

Bis es soweit ist habe ich noch zwei Links  für Euch :

http://www.hekaya.de/maerchen/

http://www.internet-maerchen.de/index1280.htm


Viel Spass beim Schmökern !!! Lächelnd

Die sieben Raben

Wie in der Welt gar viele wunderliche Dinge geschehen, so trug sichs auch einmal zu, daß eine arme Frau sieben Knäblein auf einmal gebar; und diese lebten alle und gediehen alle. Nach etlichen Jahren bekam sie auch noch ein Töchterchen. Ihr Mann war gar fleißig und tüchtig in seiner Arbeit, deshalb ihn auch die Leute, welche Handarbeiter bedurften, gerne in Dienst nahmen, wodurch er nicht nur seine zahlreiche Familie auf ehrliche Weise ernähren konnte, sondern so viel erwarb, deß auch noch bei genauer Einrichtung seine brave Hausfrau einen Nothpfennig zurücklegen konnte. Doch dieser treue Vater starb in seinen besten Jahren; und die arme Wittwe gerieth bald in Noth, denn sie konnte nicht so viel erschaffen, um ihre acht Kinder zu ernähren und zu kleiden. Dazu wurden die sieben Knaben immer größer, und brauchten immer mehr, und wurden aber auch zur größten Betrübniß ihrer Mutter immer unartiger, ja sie wurden sogar wild und böse. Die arme Frau vermochte kaum noch zu ertragen, was sie alles bekümmerte und drückte. Sie wollte doch ihre Kinder gut und fromm erziehen, und ihre Strenge und ihre Milde fruchtete nichts, der Knaben Herzen waren und blieben verstockt. Darum sprach sie eines Tages, als ihre Geduld doch zu Ende gegangen war: "O, ihr bösen Raben-Jungen! ich wollte, ihr wäret sieben schwarze Raben und flöget fort, daß ich euch nimmer wieder sähe." Und alsbald wurden die sieben Knaben zu Rabenvögeln, fuhren zum Fenster hinaus und verschwanden.

Nun lebte die Mutter mit ihrem einzigen Töchterlein recht stille und zufrieden, sie verdienten sich mehr noch als sie brauchten. Und die Tochter wurde ein hübsches, gutes und sittsames Mädchen. Doch nach etlichen Jahren bekamen Beide, Mutter und Tochter, gar herzliche Sehnsucht nach den sieben Brüdern, sie sprachen oft von ihnen und weinten: wenn doch die Brüder wieder kämen, und brave Bursche wären, wie könnten wir durch unsere Arbeit uns so gut stehen und untereinander so viele Freude haben. Und weil die Sehnsucht nach ihren Brüdern im Herzen des Mägdleins immer heftiger wurde, sprach sie einst zur Mutter: "Liebe Mutter, laß mich fortwandern und die Brüder aufsuchen, daß ich sie umlenke von ihrem bösen Wesen, und sie Dir zuführe zur Ehre und Freude Deines Alters." Die Mutter antwortete: "Du gute Tochter, ich kann und will Dich nicht abhalten, diese fromme That zu vollführen, wandre fort, und Gott geleite Dich!" Gab ihr darauf ein kleines goldnes Ringelein, das sie schon als kleines Kind am Finger getragen, wie die Brüder in Raben verwandelt wurden.


Da machte sich das Mädchen sogleich auf und wanderte fort, gar weit, weit fort, und fand lange keine Spur von ihren Brüdern; aber einmal kam sie an einen sehr hohen Berg, auf dessen Höhe ein kleines Häuschen stand, da hatte sie sich drunten niedergesetzt um auszuruhen und blickte sinnend immer hinaus nach dem Häuschen. Dasselbe kam ihr bald vor wie ein Vogelnest, denn es sah grau aus, als ob es von Steinchen und Koth zusammengefügt wäre, bald kam es ihr vor wie eine menschliche Wohnung. Sie dachte: ob nicht da droben Deine Brüder wohnen? Und als sie endlich sieben schwarze Raben aus dem Häuschen fliegen sah, bestätigte sich ihre Vermuthung noch mehr. Sie machte sich freudig auf, um den Berg zu ersteigen; doch der Weg, der hinauf führte, war mit so seltsamen, spiegelglatten Steinen gepflastert, daß sie allemal, wenn sie mit großer Mühe eine Strecke hinan war, ausglitt und wieder herunter fiel. Da wurde sie betrübt, und wußte nicht, wie sie nur hinauf kommen könnte. Da sah sie eine schöne weiße Gans, und dachte: wenn ich nur deine Flügel hatte, so wollte ich bald droben sein. Dann dachte sie wieder: kann ich mir ihre Flügel denn nicht abschneiden? Ei, dann wäre mir ja geholfen! Und sie fing rasch die schöne Gans, schnitt ihr die Flügel ab, und auch die Beine, und nähte sich dieselben an. Und siehe, wie sie das Fliegen probirte, ging es so schön, so leicht und gut, und wenn sie müde war vom Fliegen, lief sie ein wenig mit den Gänsefüßen, und glitt nicht einmal wieder aus. So kam sie schnell und gut an das lang ersehnte Ziel. Droben ging sie hinein in das Häuschen, doch war es sehr klein; drinnen standen sieben winzig kleine Tischchen, sieben Stühlchen, sieben Bettchen, und in der Stube waren auch sieben Fensterchen, und in dem Ofen standen sieben Schüsselchen, darauf lagen gebratene Vögelchen und gesottene Vogeleier. Die gute Schwester war von der weiten Reise müde geworden, und freute sich nun, einmal ordentlich ausruhen zu können; auch fühlte sie Hunger. Da nahm sie die sieben Schüsselchen aus dem Ofen, und aß von einem jeden ein wenig, und setzte sich auf jedes Stühlchen ein wenig, und legte sich in jedes Bettchen ein wenig, und in dem letzten Bettchen schlief sie ein, und blieb darinnen liegen, bis die sieben Brüder zurück kamen. Diese flogen durch die sieben Fenster herein in die Stube, nahmen ihre Schüsseln aus dem Ofen und wollten essen, merkten aber, daß schon davon gegessen war. Nun wollten sie sich schlafen legen, und fanden ihre Bettchen verdrückt, und einer der Brüder that einen lauten Schrei, und sprach: "O was liegt für ein schönes Mägdlein in meinem Bett!" Die andern Brüder liefen schnell herbei, und sahen erstaunt das schlafende Mädchen liegen. Da sprach einer um den andern: "Wenn es doch unser Schwesterchen wäre!" und wieder rief einer um den andern voll Freude: "Ja, das ist unser Schwesterchen, ja, das ist es! Solche Haare hatte es, und solch ein Mündlein hatte es, und solch ein Ringlein trug es damals an seinem größten Finger, wie es jetzt am kleinsten eins trägt!" Und sie jauchzten alle, und küßten das Schwesterchen alle; aber dieses schlief so fest, daß es lange nicht erwachte.


Endlich schlug das Mädchen die Aeuglein auf, und sahe die sieben schwarzen Brüder um ihr Bett sitzen. Da sagte sie: "O, seid herzlich gegrüßt, meine lieben Brüder, Gott sei gedankt daß ich euch endlich gefunden habe; ich habe euretwegen eine lange, mühevolle Reise gemacht, um euch wieder aus eurer Verbannnug zurückzuholen, wenn ihr nämlich einen bessern Sinn in euren Herzen gefasst habt, daß ihr eure gute Mutter nie mehr kränken und ärgern wollet, daß ihr fleißig mit uns arbeitet, und die Ehre und Freude eurer alten treuen Mutter werden wollet." Während dieser Rede hatten die Brüder bitterlich geweint, und sprachen nun: "Ja, herzige Schwester, wir wollen gut sein, und nie wieder die Mutter beleidigen, ach, als Raben haben wir ein elendigliches Leben, und ehe wir uns dieses Häuschen erbaut, sind wir oft vor Hunger und Elend bald umgekommen. Dazu kam die Reue, die uns Tag und Nacht folterte; denn wir mußten die Leichname von den armen gerichteten Sündern fressen, und wurden dadurch stets an des Sünders schauerliches Ende erinnert."


Die Schwester weinte Freudenthränen, daß ihre Brüder sich bekehrt hatten, und so voll frommen Sinnes sprachen. "O," rief sie aus "nun ist alles gut, wenn ihr nach Hause kommt, und die Mutter vernimmt, daß ihr besser worden seid, wird sie euch herzlich, verzeihen, und euch wieder zu Menschen machen."
Als nun die Brüder mit dem Schwesterchen heim reisen wollten, sprachen sie erst, indem sie ein hölzernes Kästlein öffneten: "Liebe Schwester, nimm hier diese schönen goldenen Ringe, und blitzenden Steinchen, die wir draußen so nach und nach fanden, in dein Schürzchen und trage es mit nach Hause, denn dadurch können wir als Menschen reich werden. Als Raben trugen wir sie nur um des schönen Glanzes willen zusammen."
Das Schwesterchen that so wie die Brüder wollten; und hatte selbst Freude an dem schönen Schmuck. Auf der Heimreise trugen die Rabenbrüder einer um den andern das Schwesterchen auf ihren Flügeln, bis sie an die Wohnung ihrer Mutter kamen; da flogen sie zum Fenster hinein und baten ihre Mutter um Verzeihung und gelobten, fortan stets gute Kinder zu sein. Auch die Schwester half bitten und flehen; und die Mutter war voll Freude und Liebe und verzieh ihren sieben Söhnen. Da wurden, sie wieder Menschen und gar schöne blühende Jünglinge, einer so groß und so anmuthvoll wie der andere. Dankend herzten und küßten sie die gute Mutter und die liebevolle Schwester. Und bald darauf nahmen alle sieben Brüder sich junge sittsame Frauen, bauten sich ein großes schönes Haus, denn sie hatten für ihre Kleinodien sehr vieles Geld bekommen. Und des neuen Hauses erste Weihe war der Brüder siebenfache Hochzeit.
Dann nahm auch die Schwester einen braven Mann, mußte aber auf der Brüder Flehn und Bitten bei ihnen wohnen bleiben.
So hatte die gute Mutter noch viel Freude an ihren Kindern, und wurde von denselben bis in ihr spätes Alter liebevoll gepflegt und kindlich verehrt.

 

Ludwig Bechstein 1801 - 1860

 Jorinde und Joringel

Es war einmal ein altes Schloß mitten in einem großen dicken Wald, darinnen wohnte eine alte  Frau ganz allein, das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild und die Vögel herbei locken, und dann schlachtete sies, kochte und briet es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stille stehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn los sprach: wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreiß kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel, und sperrte sie dann in einen Korb ein, und trug den Korb in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl sieben tausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse.

Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde: sie war schöner als alle andere Mädchen. Die, und dann ein gar schöner Jüngling, Namens Joringel, hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, giengen sie in den Wald spazieren. 'Hüte dich,' sagte Joringel, 'daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.' Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen.
Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte; Joringel klagte auch. Sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen: sie sahen sich um, waren irre und wußten nicht wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg und halb war sie unter. Joringel sah durchs Gebüsch und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrack und wurde todtbang. Jorinde sang

      'mein Vöglein mit dem Ringlein roth
      singt Leide, Leide, Leide:
      es singt dem Täubelein seinen Tod,
      singt Leide, Lei - zucküth, zicküth, zicküth.'

Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang ' zicküth, zicküth.' Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie dreimal 'schu, hu, hu, hu.' Joringel konnte sich nicht regen: er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter: die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager: große rothe Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fieng die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort. Endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme 'grüß dich, Zachiel, wenns Möndel ins Körbel scheint, bind los, Zachiel, zu guter Stund.' Da wurde Joringel los. Er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat sie möchte ihm seine Jorinde wieder geben, aber sie sagte er sollte sie nie wieder haben, und gieng fort. Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. 'Uu, was soll mir geschehen?' Joringel gieng fort und kam endlich in ein fremdes Dorf: da hütete er die Schafe lange Zeit.

 

Oft ging er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei. Endlich träumte er einmal des Nachts er fand eine blutrothe Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war. Die Blume brach er ab, gieng damit zum Schlosse: alles, was er mit der Blume berührte, ward von der Zauberei frei: auch träumte er, er hätte seine Jorinde dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als er erwachte, fieng er an durch Berg und Thal zu suchen ob er eine solche Blume fände: er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die blutrothe Blume am Morgen früh. In der Mitte war ein großer Thautropfe, so groß wie die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hundert Schritt nahe bis zum Schloß kam, da ward er nicht fest, sondern gieng fort bis ans Thor. Joringel freute sich hoch, berührte die Pforte mit der Blume, und sie sprang auf. Er gieng hinein, durch den Hof, horchte wo er die vielen Vögel vernähme: endlich hörte ers. Er gieng und fand den Saal, darauf war die Zauberin und fütterte die Vögel in den sieben tausend Körben. Wie sie den Joringel sah, ward sie bös, sehr bös, schalt, spie Gift und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und gieng, besah die Körbe mit den Vögeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine Jorinde wieder finden? Indem er so zusah, merkte er daß die Alte heimlich ein Körbchen mit einem Vogel wegnahm und damit nach der Thüre gieng. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und auch das alte Weib: nun konnte sie nichts mehr zaubern, und Jorinde stand da, hatte ihn um den Hals gefaßt, so schön wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen, und da gieng er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnügt zusammen.

Jacob Grimm 1785 - 1863 u. Wilhelm Grimm 1786 - 1859


 Die Königskinder

In einem Walde stand ein kleines, einsames Häuschen, darinnen eine Mutter mit ihrer Tochter, welche letztere schon ziemlich erwachsen war, wohnte. Die Alte war ein sehr böses und listiges Weib, sie trieb allerlei geheimnißvolle Dinge. Ihr Ansehen erregte bei fremden Menschen, die sie sahen, Schauder und Furcht. Sie war von Gesicht über alle Maaßen häßlich, ihre Augen waren roth wie Feuer, und blitzten unstät und unheimlich, um den Kopf trug sie stets eine schwarzes Tuch, über welchem die starren grauen Haare niederhingen. Im Sommer war ihr gebräunter Nacken, Brust und Arme unbedeckt, ein schwarzes Mieder mit großen Knöpfen umschloß den vorgebeugten Leib; ein rother Rock stach sehr grell ab von den nackten dunkelbraunen Beinen und dem schneeweißen Sack, den sie an der Achsel hängen hatte. Doch das unheimlichste war noch ein Ring, den sie am Zeigefinger der rechten Hand trug, der war von Gold und mit rothen Flammensteinen besetzt; er glänzte, daß er die Augen verblendete. So schlich die böse Alte stets im Walde umher. Sah sie einen Wanderer, oder einen Reisewagen, so drang sie sich den Leuten auf, sagte ihnen wahr, gar wunderliche Dinge, und bettelte dabei.

 

Und fand sie Kinder im Walde, so lockte sie diese in ihre Wohnung und schlachtete sie. Dagegen war ihre Tochter ein gar gutherziges Mädchen, das oft im Stillen über die bösen Thaten der Mutter bitterlich weinte und den lieben Gott bat, ihr doch von der argen Mutter zu helfen. Doch diese hatte, so schien es, das ewige Leben, sie wurde nie krank, und obgleich ihre Glieder alt und steif und ganz abgezehrt waren, so besaß sie doch eine Kraft wie der stärkste Mann. Dies alles hatte sie nur ihrem Zauberring zu danken; und noch viel mehr, denn die Hand, an welcher sie den Reif trug, war immer unsichtbar, daher sie, wo sie nur einen fremden Menschen draußen im Walde ansprach, allemal zugleich in dessen Tasche griff, die Börsen, und was sie drinnen fand herauszog, ohne daß es derselbige nur im Geringsten merkte. Auch machten die rothen Flammenstrahlen der Ringsteine die Thiere stille stehend, wo sie denselben in die Augen blinkten, da mußten die Thiere starr in die Strahlen sehen, bis die Alte den Ring am Finger drehte. So schlich sie denn oft im Walde herum, trug einen großen Topf, ließ die Ringsteine in die Augen der Hirschkühe blinken, daß sie still stehen mußten, und molk sie dann.


Einmal des Abends saß sie daheim bei ihrer Tochter und trank auch solche Hirschkuh-Milch, als es an ihr Fensterlein klopfte; und als sie darauf hinaus sah, standen zwei bildschöne und köstlich gekleidete Kinderchen draußen und weinten, und das größeste, ein Knäblein sprach: "Ach wir haben uns verirrt, und nun wird es Nacht, alt' Mütterchen, sei so gut und laß uns diese Nacht in deinem Häuschen schlafen, morgen wollen wir suchen, unsere Heimath wieder zu finden." Die Alte grinzte vor teuflischer Freude, machte schnell die Hausthüre auf und ließ die Kinderchen ein. Aber sie ging gleich sehr böse mit ihnen um, sie zog ihnen ihre schönen Kleider aus, so daß sie ganz nackend waren, und steckte sie in einen finstern Stall. Dann nahm sie einen alten Tiegel, goß Milch darein, setzte ihn hin vor die Kinder und sprach: "Hier, eßt die Milch, daß ihr bald fett werdet, daß ich euch schlachten kann, ihr seid doch nichts nütze auf der Welt, ihr Bälge."

Ach, wie sehr weinten die armen Kinder! Sie konnten vor Kummer nichts essen; doch überfiel sie bald ein Schlaf, der sie ihrem Herzeleid entrückte. Sie träumten, daß sie daheim wären bei der lieben Mutter und dem Vater und daß sie gar schön spielten. Aber wie sie erwachten und ihre traurige Lage wieder gewahr wurden, fingen sie von Neuem an zu weinen und zu klagen. Endlich hörten sie die Stallthüre aufgehen, es kam Jemand, und sie fürchteten sich sehr und meinten, jede Minute geholt und geschlachtet zu werden. Diesmal kam aber die Tochter, denn die Alte war schon hinaus in den Wald. Dem guten Mädchen thaten die lieben Kinder herzlich leid, sie wollten ihnen gerne helfen, allein sie selbst mußte sich sehr vor der bösen Mutter fürchten. Sie fragte liebreich die Kinder: "Wie heißet ihr denn?" Da antwortete das Knäblein schluchzend: "Ich heiße Irmin, und mein Schwesterchen heißt Elmine, wie heißest Du denn?" Sie sagte: "Ich heiße Käthe. Aber wer ist denn euer Vater? wo seid ihr denn her?" - Das Knäblein sprach: "Mein Vater trägt einen goldenen Mantel und eine Krone und unsre Heimath ist so schön, Du solltest nur einmal zu uns kommen." Käthe sprach: "Ich will suchen, euch zu befreien, aber jetzt gleich kann es nicht geschehen; seid nur ruhig und geduldig, ich lasse euch nimmermehr schlachten. Esset eure Milch, ich will euch auch Erdbeeren und Brod bringen, seid nur ruhig, liebe Kinderchen. Und so lange ich noch keinen Plan zu eurer Rettung gefunden, so lange nehmt diese zwei Hölzchen, und wenn meine Mutter kommt und spricht: haltet einmal eure Finger heraus, ich will sehen ob ihr fett seid, so haltet diese Hölzchen hin, daß sie euch noch nicht für fett genug befindet, und nicht schlachtet."


Die Kinderchen fühlten sich getröstet von Käthe's Worten, sie hörten auf zu weinen, aßen und tranken und freuten sich schon herzlich, daß sie nach Hause kommen sollten. Des Abends, wenn die Alte heim kam, ging sie allemal zum Stall und rief den Kindern zu: "Steckt eure Finger heraus," aber die Kinder hielten ihre Hölzchen hin, die Alte schnitt hinein mit einem scharfen Messer und sprach jedesmal: "Ihr seid noch dürre!" und ging wieder fort. Und am Morgen, wenn die Alte fort war, dann kam die gute Käthe zu den Kindern, brachte ihnen Speise und tröstete sie.


Aber einmal, als die Alte Abends zu den Kindern kam, hatten diese ihre Hölzchen verloren und mußten ihre zarten Fingerchen hinausreichen, und die Alte schnitt hinein, und schrie voll Freude: "Nun seid ihr fett, morgen schlachte ich euch!" - O welches Herzeleid für die armen Kinder! Am Abend noch mußte Käthe Wasser beitragen, daß die Kinder nach dem Schlachten damit gebrüht würden. Und die Käthe weinte heimlich, und sann und sann, wie sie noch die armen Kinder befreien könnte. In der Nacht schlich sie ganz leise von ihrem Lager, spuckte darauf und sprach mit leiser Stimme:

Liebes, liebes Bette, sprich,
Wenn die Mutter ruft, für mich.

Dann spuckte sie auf ihre Lade, auf die Treppe, und in die Küche, und bat allemal so. Dann machte sie den Stall auf, ließ die Kinder heraus und entfloh mit ihnen.
Am Morgen rief die Alte: "Käthe, steh gleich auf und schüre Feuer an," und es antwortete: "Ich bin schon auf!" Nach einer Weile, als Käthe nicht kam, rief die Alte wieder: "Käthe, kömmst Du noch nicht?" Da antwortete es: "Ich sitze schon auf meiner Lade und ziehe Strümpfe an!" Aber es verging wieder eine Weile und Käthe kam nicht, und die Alte rief: "Käthe, wo bleibst Du denn?" Da tönte es: "Ich bin schon auf der Treppe!"


Die Alte schlief wieder ein, und als sie endlich abermals erwachte, und draußen alles ganz ruhig war, schrie sie zornig: "Käthe, faule Strunze, wo bleibst Du denn?" Da sprach es: "Ich bin ja in der Küche." Aber die Alte hörte nicht das geringste Geräusch, da fuhr sie endlich vom Lager auf, und wollte Käthe tüchtig ausschelten und durchprügeln, aber siehe da, keine Käthe war zu finden und auch die Kinder waren fort. - Nun war die Alte außer sich vor Wuth, und schritt flugs von dannen, um ihre Tochter und die Kinder zu suchen und fürchterliche Rache zu nehmen.
Vermöge ihres Zauberrings hatte sie sogleich die Spur der Flüchtlinge entdeckt, und machte so hastige Schritte, daß sie gar bald die Dreie in einiger Entfernung gewahrte. Auch die Kinder hatten sich umgesehen, und das alte böse Weib mit Schrecken bemerkt, und sie wußten nicht wo nur hinaus und hinan vor Angst, daß sie der Alten schnell genug entwichen, denn diese kam mit Riesenschritten herbei. Da saß ein gar großer schwarzer Adler am Weg, zu dem riefen die Kinder voller Angst:

"O lieber Adler, trag' uns geschwind
Hin wo unsre guten Aeltern sind."

Und der Vogel machte seine Flügel breit, und trug pfeilschnell die kleinen Flüchtlinge sammt Käthen durch die Lüfte, und setzte sie vor einem herrlichen Schloß nieder. Da kam ein Mann, angethan mit einem goldgestickten Mantel und auf dem Haupte trug er eine Krone, und mit ihm kam eine schöne Frau heraus, die begrüßten und empfingen in der größesten Freude ihre lieben Kinder, welche vor einiger Zeit verloren worden waren. Und die gute Käthe mußte immerdar bei den Kindern bleiben und wurde sehr gut gehalten. Aber der Adler war wieder hinweg geflogen und als er den Fingerreif mit den rothen Flammensteinen am Finger der nacheilenden Alten erschaut hatte, war er gierig auf sie niedergestoßen, hatte sie mit seinen Krallen emporgerissen und dann so lange an ihren Finger gepickt, bis er den Ring in seinem Schnabel hatte, dann ließ er die Zeter schreiende Alte los. Diese stürzte vor dem schönen Schloß nieder - aber in einen Teich, und in demselben Augenblick schnalzte ein mächtiger Fisch empor und verschlang sie.


 Ludwig Bechstein 1801 - 1860               Quelle : http://www.maerchen.com/


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